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„Abstrakt _ Zwei Positionen“
Birgit Borggrebe und Marianne Gielen in der Galerie M,
Potsdam
Wir sehen zwei Positionen der Malerei, die auf den ersten Blick
unterschiedlicher kaum sein können. Doch bei genauerer
Betrachtung sehen wir, dass sich beide der Landschaft zuwenden
und diese auch als persönlichen Ort der Erinnerung und Reflexion
über die Welt betrachten. So sind die Landschaften Birgit
Borggrebes Welten, in denen unbefleckte Natur in angedeuteter
Form von Seen, Wolken, Himmel auf den Menschen treffen, der
Häuser und ganze Städte in Ihrer Unschuld hinterlässt. Durch die
Kombination aus Siebdruck und Malerei erschafft Birgit Borggrebe
eine ganz eigene Ästhetik, deren innere Widersprüche die
Zerrissenheit und die Widersprüche der Welt spiegeln. Sie zeigt
den Menschen im Gegensatz zur Natur, und die Natur in der Hand
des Menschen, die Natur als ideellen und geistigen Rückzugsraum,
aber auch als Verankerung von Erinnerung und menschlicher
Teilhabe.
Hier finden wir ein verbindendes Glied zur Malerei von Marianne
Gielen. Auch hier ist die Landschaft ein subjektiver
Wahrnehmungsraum, und gleichzeitig Erinnerungsfeld für Erlebtes.
Gleichzeitig aber erfasst Marianne Gielen in ihren Arbeiten, vor
allem in der Serie „Trügerische Idylle“ die Einnahme der Natur
durch den Menschen – welchen Konflikt auch Birgit Borggrebe
aufzeigt.
In Marianne Gielens Bildern sehen wir auf den ersten Blick ein
Chaos aus heftig aufgetragenen Strichen, gestische Malerei als
gleichzeitiges Ausdrucksmittel von Inhalt und eigener
Bezugssetzung. Die Präsenz der Malerin ist unwiderruflich
eingeschrieben in die erinnerte Landschaft. Aber in dem Chaos
und Dickicht lauert noch etwas Anderes.
Neben der Glienicker Brücke lebend war ihr die umgebende Natur
schon immer Symbol für Schönheit aber auch Bedrohung. Was liegt
in diesen Seen, in den Büschen und Gestrüppen rund herum? Minen?
Stacheldraht? Liegt hier die Freiheit oder der Tod? Oder bloß
ein Nest mit Entenbabys? Wir bewegen uns in einem Feld, das der
Maler ARMANDO die Frage nach der „schuldigen Landschaft“ genannt
hat. Die Landschaft als Zeuge, als Kulisse für moralisch
Fragwürdiges. Ein ganzes Leben in der Umgebung der Glienicker
Brücke hat Marianne geprägt und zu vielen Fragen geführt, die
sie mittels der Malerei versucht aufzulösen. Auffällig ist für
mich – stets finden wir in Ihren Landschaften Lichtungen: Orte
der Freiheit? Ein Ziel?
Mir persönlich erscheint vielmehr, als sei auch die Farbe nicht
aufgetragen, das Bild nicht gestisch und heftig gemalt wie bei
den Vertretern des Abstrakten Expressionismus, sondern als habe
Marianne Gielen gesucht. Es ist eher ein Kratzen, ein
Vordringen, ein Versuch des Durchdringens dieser verhüllten und
unklaren umgebenden Natur und ihrer Zeugenschaft. Malerei als
Freilegen. Als Weg zu Erkenntnis und vielleicht auch Ruhe.
In schöner Antipose stehen sich hier diese Zugänge gegenüber.
Birgit Borggrebes Bilder sind schon im Zustand der Ruhe. Nahezu
statische, wunderschöne Zustände, die nach Reflexion,
Kontemplation aber auch nach dem Genuss des Schönen und ein
kleines bisschen heiler Welt rufen. Mit breitem Spachtel
aufgetragen ,stehen sie im Kontrast zur Statik der gedruckten
Häuser und Menschenwerke. Die Landschaft ist flüchtig, abstrakt
– Menschenwerke dagegen gegenständlich, fixiert im weichen Fluss
der erinnerten Landschaft. Geschwindigkeit ist keine da. Jedoch
fühlt man deutlich das Vergehen von Zeit und das festhalten, in
Öl. Die hier gezeigten Bilder entstammen 2er Zyklen mit
unterschiedlichem Fokus und auch unterschiedlicher Farb- und
Formsprache. Die Kunstwerke des Zyklus „Rosa Zeiten“ zeigen die
Verletzlichkeit der Natur gegenüber einer Menschheit, die mit
ihren Bedürfnissen nach Raum immer artifiziellere Lebensräume
schafft. Die gerade entstandene Serie „Gegenlicht“ fokussiert
nun eher auf Erinnerungen an Zeiten und Orte, in denen die
Symbiose zwischen Mensch und Natur noch intakt war, ein
Bootssteg an einem See, eine Scheune in der Landschaft – es sind
ganz andere Aussagen als die Hochhauswelten in denen sich die
Himmel spiegeln. Anders auch als die architektonisch
aufgeladenen Zustände der Malerei des Vorjahres – findet eine
Versöhnung statt?
Dem gegenüber sind Marianne Gielens Werke Ausdruck eines wilden,
rastlosen Zugriffs. Die versöhnliche Symbiose erfahren die
beiden Ansätze unserer Künstlerinnen nicht nur in ihrem Sujet,
der erinnerten Landschaft, sondern tatsächlich auch im
Malerischen. Wer die Werke Marianne Gielens kennt, weiß, dass
ihr großes Thema stets Zeichen und Symbole waren, die in einer
mehr oder weniger abstrakten Umgebung Kohärenzen schaffen. Unten
im Ausstellungsraum sehen wir nun, wie sich diese Ansätze mit
Birgit Borggrebes Ästhetik verbinden. 3 Zeichnungen mit Zeichen
stehen 2 Ölgemälden Birgit Borggrebes gegenüber und verbinden
sich. Es wirkt, als seien die Zeichen aus der abstrakten
Landschaft Borggrebes entnommen und durchdekliniert worden. Wie
mit der Lupe sehen wir, wie Abstraktes versucht Bedeutung zu
erfahren und Zeichen zu werden.
Und hier funktionieren die Positionen nicht mehr nur als
Gegensatz, sondern als Elemente und Seiten ein und derselben
Medaille – Malerei als Zugriff auf Erinnerung, Elemente als
Ausdruck von Stimmung und Gedanken. Und sie sind verbunden durch
einen gemeinsamen Kern – die Poesie. Beide Ansätze sind
abstrakte poetische. Wobei ich mit der Nomenklatur des
Abstrakten hier ein kleines Problem habe – ich halte die Werke
Borggrebes eher für imaginäre und referenzielle Welten. Sicher,
nicht real, nicht rein figürlich, aber doch erkennbar und durch
eine eher unklare Natur wunderschön in Szene gesetzt, an der
Grenze zur Abstraktion.
Auch Marianne Gielen hat sich zwar in dieser Serie sehr der
gestischen abstrakten Malerei zugewandt, jedoch kann man auch
hier mit ein wenig Gefühl erkennen, dass wir uns durch ein
Gestrüpp bewegen, dass zwar mit unnatürlichen Farben aufgeladen
ist, aber doch manchmal erkennbar Seen, Äste oder Stacheldraht
andeutet.
Ihre Werke verändern sich stets mit dem Ort des Erschaffens. So
sind die Werke der afrikanischen Serie völlig andere als die
Japanische, die Kleinasiatische oder die Indischen Bilder. Mal
überwiegt der große breite Pinsel, mal stehen wir einem Komplex
filigraner Kreidezeichen gegenüber. Man kann kaum glauben, dass
sie aus der gleichen Hand der Malerin stammen, die ebenfalls
„Hinter den Dünen“ oder diese Werke geschaffen hat – so
umfangreich ist der Aussagekosmos Gielens von dem wir hier nur
einen Ausschnitt sehen.
Beide Malerinnen haben eine tiefe Beziehung zu dem Ort, zu
Potsdam. Sie wurden geprägt von seiner Schönheit und
landschaftlichen Ästhetik und gleichzeitigen historischen
Ambivalenz, des Ortes als Sitz von Königen, als Ort der Teilung
und als Ort des Handschlages zwischen West-Berlin und
Brandenburg; Spannungsfeld und Handlungsort vieler Romane und
Filme. Eine wunderschöne und aufgeladene Stadt, die unsere
beiden Malerinnen fasziniert und bis heute prägt. Daher auch
diese Ausstellung an der Wirkungsstätte.
Ich glaube kaum, dass Potsdam schon oft eine so gelungene
Ausstellung zweier malerisch so starker Künstlerinnen gesehen
hat, und ich bin sehr froh, wenn ich Ihnen diese
außergewöhnlichen Arbeiten mit einigen persönlichen Worten näher
bringen konnte.
18. Januar 2015
Fares Al-Hassan, Kunstmanager, Galerist, Auktionator
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