Zeichen setzen

Die Künstlerin Marianne Gielen begann ihre Laufbahn mit einem Studium der Rechtswissenschaft. Heute arbeitet sie mit Farbe in Ateliers auf der ganzen Welt.


Farbe ist Marianne Gielen wichtig. Am breiten Bücherregal, das gut gefüllt bis an die hohe Decke ihres Wohnzimmers reicht, lehnt die dreiteilige Reihe „Bildchiffren“. In mattem blau, rot und schwarz geistern unvollendete Zeichen durch den Raum, erinnern an Kaligraphie – ein Einfluss, der sich auf Gielens Aufenthalte in Asien zurückführen lässt. In der unteren Bildhälfte deutet sich eine Kästchenstruktur an. Doch die Bildelemente unterwerfen sich keinem Ordnungsprinzip. Der Versuch die Kunst in ein Raster zu pressen scheitert, ähnlich wie die Versuche die Welt planbar zu machen. Das gilt im großen Kontext für die Bedrohung durch eine gefährdete Umwelt, wie im kleineren für die des eigenen Lebens. Marianne Gielen hatte eine solche vor Jahren durch eine lebensgefährliche Erkrankung erfahren müssen – Ein schwieriger Lebensabschnitt, der sie, wie sie selbst sagt, dennoch weiterbrachte und heute zum Spannungsfeld gehört, in dem sie sich mit ihrer Kunst bewegt.

Die Unordnung auf ihren Gemälden als apokalyptische Weltsicht zu deuten, wäre zu einseitig. Das würde der 67-jährigen aufgeschlossenen Frau mit den rotgefärbten Haaren und der ausladenden grünen Latzhose auch niemand abnehmen. Das Scheitern der Zeichen hält die Künstlerin nicht davon ab, sie ständig aufs Neue einzusetzen. Letztlich sind auch sie kreative Produkte. Von der Kaligraphie inspiriert, ließen sie sich nicht übersetzen. „Zum einen finde ich den graphischen Aspekt interessant. Andererseits geht es um die Idee Zeichen zu setzen“, sagt Marianne Gielen.

Vertraute Formen finden sich in ihren Gemälden selten. Wie viele Künstler habe sie nicht immer abstrakt gearbeitet. Die Abstraktion sei für Gielen der Gegenpol zu Fotografie und anderen technisch abbildenden Medien geworden, welche die Wirklichkeit sehr exakt wiedergeben könnten, aber auch leichter kopierbar seien. In der abstrakten Malerei findet Gielen Einzigartigkeit, eine besondere Handschrift, die schwieriger nachzuahmen ist. Über lange Jahre hat sie sich daher eine eigene Kollage-Technik erarbeitet.

Marianne Gielen war 41 als sie ihr Leben noch einmal neu begann. 1984 bewarb sie sich um ein Studium der Malerei an der damaligen Hochschule der Künste (HDK) in Berlin. Beruflich hatte sie zunächst eine andere Laufbahn eingeschlagen, absolvierte von 1962 bis 1968 ein Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und München – eine Episode, die in starkem Kontrast zu ihrer jetzigen Tätigkeit steht? „Chagall und Kandinsky haben auch Jura studiert“, sagt sie scherzhaft und fügt bescheiden hinzu, dass sie sich natürlich nicht mit den beiden Meistern vergleichen möchte. Ihr Studium sei vielmehr, der Zeit geschuldet gewesen, in der sie aufwuchs und in der der Broterwerb vor den eigenen Interessen und Neigungen stand. Gern hätte sie Architektur studiert, interessierte sich vor allem für Innenarchitektur. „Vielleicht ist es dieser frühere Berufswunsch, der durchkommt, wenn Betrachter meine Bilder als dekorativ empfinden“, sagt Gielen. Für ein solches Studium sei allerdings eine Tischlerlehre die Voraussetzung gewesen – zur damaligen Zeit für Frauen kaum denkbar.

Eine künstlerische Neigung hatte Marianne Gielen bereits zu Schulzeiten entwickelt. Zuspruch habe sie von ihrem damaligen Kunstlehrer erhalten. Zudem habe ein Jugendfreund, der selbst Architektur studierte, ihr Interesse fürs Gestalterische geweckt. Nach ihrer ersten akademischen Karriere hatte zunächst die Familiengründung Vorrang. Gielen zog drei Söhne groß, arbeite zeitweise in Galerien und besuchte als Gasthörer Kurse an der HDK, bevor sie in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zunächst Malerei und von 1997 bis 2000 Kunst im Kontext an der Berliner Hochschule studierte.

Mittlerweile hat sich Marianne Gielen fest in der Kunstszene etabliert und ist bestens vernetzt. Seit 2007 ist sie Vorstandsvorsitzende des Verbandes Bildender Künstler in Brandenburg (BVBK). Zudem sitzt sie im Vorstand des übergeordneten Bundesverbandes (BBK) und der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK). Ihr Atelier befindet sich auf kleinem Raum im Keller ihres Potsdamer Hauses. Nur ist sie dort nicht immer anzutreffen. Gielen sucht den Kontakt zur internationalen Kunstszene, ist jedes Jahr auf anderen Symposien in Polen, Lettland, Russland, Dänemark und Finnland vertreten. Hinzu kommen Ateliersstipendien in den USA, Japan, der Türkei, Indien und China. Erst zu Beginn des laufenden Jahres reiste sie für ein Stipendium nach Valparaioso Mojacar in Spanien. Die Eindrücke ihres Aufenthalts hat die Künstlerin zu Papier gebracht. Einige von ihnen sind unvollendet, müssen noch mit Zeichen versehen werden.

Vom fertigen Werk hat Marianne Gielen schließlich genaue Vorstellungen, auch wenn nicht jedes Bild gleich gut gelingt. Ob eine Arbeit funktioniert, merkt sie an den Reaktionen des Ausstellungspublikums. Aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung kann sich die Künstlerin mittlerweile in den Betrachter hineinversetzen, ohne dass sie ihm während des Schaffensprozesses allzu gefällig werden wolle, wie sie betont. Nicht immer seien es am Ende ihre Favoriten, die auch Besuchern am besten gefielen. Auch in der Schaffensphase gelinge nicht alles. „Aber so schnell gebe ich nicht auf. Ich kämpfe um jedes Bild“, sagt sie und lacht.

Mut und Beharrlichkeit seien, laut Marianne Gielen, neben der Kreativität die Mittel, um künstlerisch erfolgreich zu sein. Dazu kommen die kontinuierliche Produktion und eine gute Vernetzung, die sie beispielsweise durch den BVBK gewährleistet sieht. Vor allem das Thema „Ausstellungsvergütung“ , als Einnahmequelle professioneller Künstler, die ihren Lebensunterhalt letztlich nur über den Verkauf ihrer Bilder sichern könnten, beschäftigt den Verband in diesen Tagen – eine Art GEMA für bildende Künstler, die es ihnen leichter machen soll, ihrer Berufung zu folgen und eigene Zeichen zu setzen.

Marco Marschall