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Raumgreifende "Dinge"
Projektausstellung der Gedok Brandenburg auf Gut Geisendorf
Geisendorf. Hinter dem spröden Titel “Die Dinge” verbirgt sich
ein künstlerisches Ereignis, das in seiner Vielschichtigkeit
uneingeschränkt Beachtung verdient. Die Gedok, die
geschichtsträchtige Gemeinschaft der Künstlerinnen und
Kunstförderer, neu gegründet Anfang der Neunziger Jahre im Land
Brandenburg, hat sich für ihr zweijähriges Kunst-Projekt Gut
Geisendorf als einen ihrer Ausstellungsorte ausgewählt.
Zuvor hatte man Schloss Altranft am Rande des Oderbruchs
bespielt. Kloster Zehdenick und der Alte Tabakspeicher in
Schwedt werden noch folgen. Es sind die “Dinge”, die derart viel
Raum beanspruchen und die derart viel Kreativität freisetzen.
Gerlinde Förster, Vorsitzende und spiritus rector der
Brandenburger Gedok, entwickelte zusammen mit der Künstlerin
Gertraude Pohl dieses interdisziplinäre Projekt. Es umfasst
Bilder, Collagen, Fotografien, Objekte, Installationen, Texte,
Musik und künstlerisches Tun mit Kindern. Gefördert wird es
durch den Ministerpräsidenten und Ministerien des Landes
Brandenburg sowie vor Ort durch Vattenfall Europe Mining &
Generation. Schirmherrin ist die brandenburgische
Kulturministerin Sabine Kunst.
Was ist hier unter “Dingen” gemeint? Es ist letztlich alles, was
uns umgibt, das Gegebene wie das von Menschen Geschaffene. “Die
Dinge sind fassbar in Form, Farbe und Material”, erläutert
Gerlinde Förster. “In ihnen spiegeln sich unsere von Gegenwart
und Geschichte geprägten Erfahrungen. Kaum etwas zeigt sich im
Alltag so fest verankert und facettenreich wie die Dinge.” Und
kaum etwas verrät so viel über den Menschen, der damit umgeht.
Zeugnis dafür sind auch alltäglich Redewendungen vom “Ding, das
zwei Seiten hat” bis zu “den Dingen auf den Grund gehen”.
Skurril heiter
Ein Ausstellungsobjekt offenbart diese zwei Seiten der Dinge.
Christine Przybilski zeigt in Vitrinen sieben Plastiktüten mit
Kleidung und allerlei Dingen gefüllt. Es sind Notfalltaschen vom
Kind bis hin zum Manager. Nach der Katastrophe von Fukushima
hatten die zu evakuierenden Menschen eine Stunde Zeit, um in
einer Plastetüte die für sie wichtigsten Dinge einzupacken.
Christine Przybilski hat es nachempfunden und jedem Tüteninhalt
ein von ihr geschaffenes Schmuckstück hinzugefügt. Doch das Ding
– die gefüllte Tüte – hat zwei Seiten. Es kann auch jenes sein,
was von einem im Krankenhaus Verstorbenen übrig bleibt. Der
Mensch vergeht, das Ding bleibt.
Skurril heiter wird es im Raum mit Arbeiten von Astrid Weichelt.
Hier sind die Götter präsent. Antikes Bildungsgut schlägt in
Konsumwerbung um. Mars wird zum Schokoladenriegel, Venus zum
diskreten Haarentferner und Sisyphos zum Firmenlogo für
Containerdienste. Die irdischen Götter hängen in
Papierabformungen von allerlei Büsten vom Deckenhimmel.
Gerade die Abwechslung in den Räumen von pointierter Heiterkeit
und in bewegender Formgebung vermittelter Nachdenklichkeit macht
die Ausstellung so anregend für Geist und Sinne. Gleich im
ersten Raum gibt es eine wunderbare Begegnung mit Stein- und
Bronzearbeiten von Sylvia Hagen in Korrespondenz mit zwei ihrer
exzellenten Pinselzeichnungen.
Am Ende der Ausstellung im Haus faszinieren den Besucher die
Radierungen von Franziska Uhl im Gleichklang mit den Formen
unabhängig davon gefundener Treibholzfragmente aus der Oder.
Hingegen weitab von den Dingen und hautnah am Menschen sind die
Linolschnitte von CG Grosse, wo jede Linie vor Vitalität
vibriert. Angela Willeke, die außergewöhnliche Glasgestalterin,
kombiniert höchst subtil so konträre Werkstoffe wie alten
metallenen Grubenschrott mit Glasschmuck. Die noch ausstellenden
Marianne Gielen und Edda Krullmann können hier, ohne dass es
eine Wertung ist, nur noch genannt werden.
Blumentopfkette
Ein Ding, was nur vor Ort am Grubenrand von Gut Geisendorf
gemacht werden konnte, ist Sophie Natuschkes “Gute Erde”. 2400
bunt eingefärbte Blumentöpfe ziehen sich an einem 180 Meter
langen Seil von der Hausfassade bis hinein in die Grube. Die
tote Erde wird symbolisch mit guter Erde versorgt, wie sie der
Blumentopf, Wiege des neu Keimenden, birgt. Ein Förderband des
Lebens. Sophie Natuschke wohnt im Oderbruch und hat dort nach
der Wende vor der Haustür erlebt, wie eine über Generationen
geführt Gärtnerei Pleite ging. Tausende von sorgfältig
gestapelten Blumentöpfen blieben übrig. Sie hat sie – die Dinge
– gerettet und zu Hoffnungszeichen neuen Lebens gemacht. So
erzählen all die Dinge ihre Geschichten. Und es sind immer
Geschichten von Menschen, wiedererweckt in künstlerischer
Verwandlung.
Arno Neumann
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