|   | Über meine Arbeit
 Es ist immer schwer, über die eigene Kunst zu sprechen. Schon 
				für sich selbst den Begriff Kunst in Anspruch zu nehmen fällt 
				heute schwerer, als dies noch im 19. Jahrhundert 
				selbstverständlich war. Ich halte mich daher eher an die 
				Nüchternheit, wie sie Bertold Brecht zum Ausdruck gebracht hat. 
				Dieser hat sich niemals als Dichter bezeichnet, sondern als 
				Stückeschreiber. In diesem Sinne kann ich von mir als Produzent 
				oder Hersteller von bildender Kunst sprechen.
 
 Die Ausgangsposition, mit der ich an ein neues Bild oder eine 
				Plastik oder Installation herangehe, ist eine zweifache:
 
 1. Meine grundsätzliche Einstellung hierzu entspricht der 
				Betrachtung der Welt und des täglichen Lebens wie ich sie sehe. 
				Diese Betrachtung ist von zwei Erkenntnissen und Zielsetzungen 
				geprägt:
 Einerseits stelle ich fest, dass die menschliche Gesellschaft 
				und damit auch meine ganz persönliche Existenz heute von einer 
				starken Spannung in der Weise geprägt ist, dass der Einzelne in 
				der Familie und Gesellschaft nicht mehr den Halt findet, den er 
				sich vielleicht vorgestellt hat. Damit einher geht ein Rückgang 
				der gegenseitigen Toleranz und Rücksichtnahme in unserer 
				Gesellschaft, die ich teilweise als beunruhigend empfinde; 
				andererseits wird diese Erkenntnis auch immer wieder durch 
				persönliche mitmenschliche Erlebnisse positiv in Frage gestellt, 
				so dass ich mich hier in einem ständigen Spannungsverhältnis 
				bewege, das auch auf die ganz konkrete Mal- und 
				Herstellungsweise Auswirkungen hat.
 Weiterhin empfinde ich heute sehr viel stärker als noch vor 10 
				oder 15 Jahren die Beeinträchtigung, um nicht zu sagen 
				Bedrohung, durch eine gefährdete Umwelt und die teilweise 
				geradezu unglaubliche Ignoranz der Menschen gegenüber ihrem 
				eigenen Lebensraum. Auch hier befinde ich mich in einem 
				ständigen Spannungsfeld, da ich auch selbst keineswegs immer 
				nach den entsprechenden Kriterien handle und lebe. Auch dies 
				fließt in meine Arbeiten ein, ohne dass mir dies allerdings in 
				der praktischen Ausführung bewusst ist. Manches entdecke ich in 
				meinen Arbeiten erst, wenn ich sie vor Augen habe.
 Ein weiterer starker Einfluss auf meine Einstellung, und damit 
				auch auf die Sichtweise, ist die persönliche Situation durch 
				eine lebensbedrohende Krankheit, die ich vor einigen Jahren 
				durchgemacht habe und die mich in existenzieller Weise auch 
				heute beschäftigt. Sie ist mir Ansporn und Belastung zugleich.
 
 2. Die konkrete Vorgehensweise meiner Arbeiten ist ebenso stark 
				von äußeren Eindrücken und Einflüssen geprägt wie von inneren 
				Einfällen, die wiederum entweder auf solche äußeren Eindrücke 
				zurückzuführen sind oder aber ganz spontan und eigenständig als 
				Ideen heranreifen. Häufig spielt die Neugier eine Rolle, z. B. 
				ein neues Material auszuprobieren, eine neue Technik oder eine 
				andere ästhetische Betrachtung. Überhaupt sind ästhetische und 
				kompositorische Überlegungen immer dabei wenn ein Produkt 
				entstehen soll. Überwiegt zu Beginn einer Arbeit eher ein 
				spontanes Element, so wirken sich ästhetische Kategorien im 
				weiteren Fortschreiten stärker aus.
 
 Trotz dieser Ausführungen muss ich gestehen, dass häufig der 
				Herstellungsprozess anders verläuft, was ich nicht leicht in 
				Worte fassen kann. Unternehme ich zum Beispiel eine Reise, so 
				fängt die Durchdringung des eigentlich ja noch Unbekannten 
				häufig schon viel früher an, wenn also die Phantasie bereits 
				einen Eindruck vorwegnimmt, der real noch gar nicht entstanden 
				ist. Umgekehrt kann es aber vorkommen, dass ich auf einer 
				solchen Reise selbst die Eindrücke nicht unmittelbar umsetze, 
				sondern ganz unabhängig hiervon zu Werke gehe, und zwar nicht, 
				weil ich keine prägenden Eindrücke gewonnen habe, sondern weil 
				ich trotzdem in diesem Zeitpunkt andere Vorstellungen 
				verwirklichen möchte. In diesen Fällen erlebe ich es häufiger, 
				dass ich erst später auf solche Einflüsse zurückkomme, seien sie 
				farblicher und struktureller Art, seien es soziale und 
				gesellschaftliche, seien es auch ganz konkrete Erlebnisse.
 
 Diese Komplexität insgesamt macht es mir daher immer wieder 
				schwer, über Ausdruck, Inhalt und Bedeutung eigener Arbeiten zu 
				sprechen. Ich bin deshalb schon häufiger bei 
				Ausstellungseröffnungen höchst erstaunt, aber auch sehr beglückt 
				gewesen über Betrachtungs- und Herangehensweise kompetenter 
				Menschen, die sich mit meinen Arbeiten beschäftigt haben und 
				sich hierzu äußern. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen auch für 
				Menschen, die sich zu meinen Arbeiten äußern, ohne irgendeinen 
				näheren Bezug zur Kunst zu haben. Auch hieraus gewinne ich 
				durchaus neue Erkenntnisse über meine eigene Arbeit.
 
 Abschließend möchte ich noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, 
				der mir gerade im Vergleich zu den Arbeiten von anderen mir auch 
				persönlich bekannten Künstlern immer wieder deutlich wird. 
				Offensichtlich drückt sich in meinen Arbeiten auch, ohne dass 
				ich überhaupt weiß, wie dies geschieht, mein eigener Charakter, 
				mein Temperament und meine Wesensart aus. Dies kann ich – wie 
				gesagt – nur im Vergleich zu Arbeiten anderer wirklich 
				festmachen, deren individuelle Wesensart, soweit ich sie kenne, 
				ich durchaus in deren Arbeiten wieder finde und gleichzeitig 
				feststelle, dass meine Arbeiten sich wiederum hiervon deutlich 
				unterscheiden.
 
 Marianne Gielen, April 2004
 
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